101130 Lenkzeit-Vergehen können für mehr als 28 Tage geahndet werden

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Beschluß OLG Hamm (AZ: III-5 RBs 158/10) vom 30.11.2010

Lenkzeit-Vergehen können für mehr als 28 Tage geahndet werden

Dem weit verbreiteten Irrtum, Lenkzeit-Vergehen könnten nur für die letzten 28 Kalendertage vor der erfolgten Kontrolle geahndet werden, folgte auch das Amtsgericht Gelsenkirchen.[1]

Mit einem Bußgeldbescheid vom 26. Oktober 2009 wurden gegen den Betroffenen wegen insgesamt 36 (davon 30 sog. "schweren") Verstößen[2] Geldbußen in Höhe von insgesamt 8.010,00 Euro festgesetzt.

Aufgrund des rechtzeitig eingelegten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Gelsenkirchen ihn zu einer Geldbuße von insgesamt 1053 Euro verurteilt.[3] Die Reduzierung der Geldbuße begründete das AG Gelsenkirchen damit das Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten nur für die letzten 28 Tage vor der Kontrolle geahndet werden dürften. Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Essen Rechtsbeschwerde ein.

Auf die Rechtsbeschwerde der Essener Staatsanwaltschaft folgte am 30.11.2010 der Beschluß des OLG Hamm das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG Gelsenkirchen zurück zu verweisen.

Begründung

Das Amtsgericht hat zu Unrecht nur die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt. Das Amtsgericht Gelsenkirchen will die Einschränkung der Vorbemerkung 14 der VO (EG) NR.561/2006 entnehmen. Bei dieser Vorbemerkung handelt es sich jedoch nicht um eine Ahndungsnorm. Die Ahndung bestimmt allein § 8 a Abs. 1 und 2 FPersG und zwar ohne die Bestimmung eines Ahndungszeitraumes. Die einzige Beschränkung der Ahndung ist die Verjährungszeit von 2 Jahren. Doch macht eine solche keinen Sinn, wenn ohnehin nur ein Zeitraum von 28 Tagen geahndet werden könnte.

Eine Beschränkung der Ahndung auf die letzten 28 Tage vor dem Kontrollzeitpunkt ist auch nicht mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar. Letztlich dienen die Lenk- und Kontrollzeiten der Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit durch Vermeidung von Übermüdungen. Solche gilt es auch über einen Zeitraum von 28 Tagen vor dem Kontrollzeitpunkt hinaus zu ahnden. Aufgrund neuerer Technik werden nunmehr vermehrt digitale Fahrtenschreiber eingesetzt, die auch größere Datenmengen enthalten. Durch die europäische Union wurde in dem Anhang 1 b der Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 auch nur ein Mindestdatensatz jedoch kein Höchstdatensatz bestimmt. Ferner regelt Artikel 4 der Richtlinie 2006/22 EG grundsätzlich die Art und Weise der Durchführung von Straßenkontrollen, nennt jedoch keinen höchstzulässigen Ahndungszeitraum, so dass davon auszugehen ist, dass ein solcher gerade nicht besteht.

Ferner haben die Aufsichtsbehörden nach dem Fahrpersonal und Güterkraftverkehrsrecht alle umfassende Prüfungsrechte, so dass es unsinnig erscheint, Behörden mit derartigen Rechten auszustatten, wenn ohnehin nur ein Ahnungszeitraum von 28 Tagen bestünde.

Ein Argument dahingehend, dass bei Nichtbegrenzung des Ahndungszeitraumes auf 28 Tage eine unangemessene Behandlung des Betroffenen, der über digitale Datenerfassung verfügt, erfolgen würde, ist nicht sachgerecht. Schließlich sieht die Richtlinie 2006/22/EG die Einteilung der Zuwiderhandlungen nach den Lenk- und Ruhevorschriften in geringfügige, schwerwiegende und sehr schwerwiegende Verkehrsverstöße vor, so dass eine Begrenzung auf diese Weise erfolgen kann.

Ferner sind gem. § 10 Abs. 2 a FPersG die für die Durchführung von Bußgeldverfahren zuständigen Behörden den Genehmigungsbehörden gegenüber verpflichtet Zuwiderhandlungen mitzuteilen, die Anlass geben an der Zuverlässigkeit des Unternehmers bzw. der zu Führen der Geschäfte bestellten Personen zu zweifeln. Dieser Verpflichtung können die Behörden nur dann gewissenhaft und differenziert genug nachkommen, wenn die Kontrolle nicht auf 28 Tage beschränkt ist.

Seit dem 01. Januar 2008 sind die Fahrer verpflichtet die die Aufzeichnungen über die Lenk- und Ruhezeiten lediglich für die letzten 28 Kalendertage + dem aktuellen Tag mit sich zu führen. Dadurch sollen die zuständigen Behörden bei Straßenkontrollen in der Lage sein, die ordnungsgemäße Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten des laufenden Tages und der vorausgehenden 28 Tage zu kontrollieren. Hierauf kann jedoch keine Beschränkung der Auswertung der Fahrerkarte auf 28 + 1 Tage gestützt werden. Es ist insoweit lediglich die "Mitführungspflicht" geregelt, nicht hingegen eine zeitliche Beschränkung, für welchen Zeitraum eventuelle Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten geahndet werden dürfen. Welche Zuwiderhandlungen letztendlich verfolgt werden sollen, liegt vielmehr allein im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden.

Dass dieser "Mitführzeitraum" von 28 und 1 Tagen nicht zugleich identisch ist mit dem "Ahndungszeitraum", zeigt sich auch darin, dass § 10 Abs. 2a FPersG die zur Durchführung von Bußgeldverfahren zuständigen Behörden verpflichtet, den nach § 3 Abs. 7 GüKG bzw. § 11 Abs. 1 PBefG zuständigen Genehmigungsbehörden Zuwiderhandlungen mitzuteilen, die Anlass geben, an der Zuverlässigkeit des Unternehmers bzw. der zur Führung der Geschäfte bestellten Person zu zweifeln. Dieser Verpflichtung können die Verfolgungsbehörden nach § 9 FPersG nur dann in ausreichendem Maß nachkommen, wenn sie nicht nur die letzten 28 Tage vor dem Kontrolldatum berücksichtigen dürfen.

Die Sache war daher an das Amtsgericht Gelsenkirchen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

Der Senat gibt zu bedenken, dass auch eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht kommt. Das Amtsgericht ist vorliegend lediglich von einem fahrlässigen Verstoß ausgegangen. Art. 6 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 561/2006 statuiert die Pflicht des Fahrers, alle Lenk- und Ruhezeiten täglich festzuhalten. In der Regel wird man davon ausgehen können, dass die Lenk- und Ruhezeitverstöße durch den Fahrer vorsätzlich begangen werden, weil er nämlich entweder durch das eingesetzte technische Kontrollgerät über die Verstöße informiert wird oder ihm die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten gleichgültig ist, was aber zumindest bedingten Vorsatz begründet.

Da die in dem Buß- und Verwarnungsgeldkatalog angegebenen Regelsätze bei vorsätzlicher Begehungsweise in der Regel verdoppelt werden, können nicht selten Bußgelder entstehen, die leicht den Monatsverdienst des Fahrers übersteigen. Auch wenn das Gefährdungspotential übermüdeter Fahrer von Lkws im Straßenverkehr erheblich ist, muss jedoch das Sanktionsgefüge zum Einen innerhalb der Norm, aber auch im Ganzen, im Blick behalten werden. Vorliegend handelt es sich (nur) um Ordnungswidrigkeiten, die bei Anwendung des Buß- und Verwarnungsgeldkatalogs Bußgelder ergeben, die Geldstrafen übersteigen, die für wesentlich gefährlichere Verkehrsstraftaten wie z.B. Trunkenheit im Verkehr verhängt werden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich die Zielsetzung in Art. 1 der VO (EG) Nr. 561/2006 in erster Linie auf den Unternehmer bezieht, und der Fahrer über die "Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Straßenverkehrsgewerbe" in den Schutzbereich der VO einbezogen ist. Dies muss auch bei der Bemessung der einzelnen Bußgelder, insbesondere im Vergleich zum Unternehmer, Berücksichtigung finden.[4]

Fussnoten/Quelle

  1. mit dem Urteil zu AZ 19 OWi 90 Js 3064/09 (50/10)
  2. gegen § 8a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 6 Abs. 1, 7, 8 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 561/2006 (Nichteinhaltung der Lenk- und Ruhezeiten)
  3. wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 7 VO (EG) Nr. 561/2006 in acht Fällen sowie wegen Verstoßes gegen § 8 a Abs. 2 Nr. 1 FPersG i.V.m. Art. 6 VO (EG) Nr. 561/2006 in drei Fällen
  4. Beschluss OLG Hamm (Volltext)