Masterplan Güterverkehr und Logistik: Güterverkehr und Logistik im Brennpunkt gesellschaftlicher Umwälzungen - Neue Herausforderungen für die Verkehrspolitik

Aus Lager- & Logistik-Wiki
Version vom 8. Februar 2010, 19:41 Uhr von W. Schwenk (Diskussion | Beiträge) (Verkehrswachstum infolge Globalisierung und zunehmender Arbeitsteilung)

(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Güterverkehr und Logistik im Brennpunkt gesellschaftlicher Umwälzungen - Neue Herausforderungen für die Verkehrspolitik

Deutschland verfügt über eine der modernsten Verkehrsinfrastrukturen weltweit mit einem dichten und leistungsfähigen Netz von Straßen, Schienen, Wasserstraßen, Häfen und Flughäfen. Die logistischen Systeme sind exzellent ausgebaut. Ziel der Bundesregierung ist es, diese Spitzenstellung Deutschlands in Güterverkehr und Logistik wie auch in der Verkehrsinfrastruktur dauerhaft zu sichern. Bei dieser Aufgabe muss sich Politik wie Wirtschaft gleichermaßen den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen stellen.

Verkehrswachstum infolge Globalisierung und zunehmender Arbeitsteilung

Die erste und zugleich zentrale Herausforderung, auf die die Bundesregierung mit diesem Masterplan reagiert, ist der infolge von Globalisierung und verstärkter ökonomischer Arbeitsteilung zu erwartende drastische Anstieg des Güterverkehrs. Zunehmende Spezialisierung und Arbeitsteilung werden zu einem weiteren Anstieg des internationalen Handels führen. In der Folge werden immer mehr Waren und Güter über immer größere Distanzen transportiert. Damit ist eine starke Erhöhung des Bedarfs an Logistik- und Transportdienstleistungen zu erwarten.

Wenn nicht reagiert wird, muss in Deutschland infolgedessen mit einer Zunahme der Güterverkehrsleistung zwischen 2004 bis 2025 um 71 % gerechnet werden, im Straßengüterverkehr fällt dieser Anstieg mit 79 % und im Straßengüterfernverkehr mit 84 % noch deutlicher aus.2 Da dieser Anstieg überdies regional ungleichmäßig verteilt ist, ist auf vielen Fernstraßen nahezu mit einer Verdoppelung des Güterverkehrs zu rechnen. Dies würde, wenn der prognostizierte Anstieg Wirklichkeit würde, bedeuten: Wo heute auf Autobahnen eine Fahrspur von Lkw genutzt wird, wären in knapp zwanzig Jahren zwei Spuren nötig, um das gestiegene Güteraufkommen bewältigen zu können. Darüber hinaus wird auch der Personenverkehr zunehmen, wenn auch mit 19 % in einem wesentlich geringeren Maße.

Es ist offenkundig, dass ein solches Wachstum die Verkehrspolitik vor große Herausforderungen stellt: Es gilt sicherzustellen, dass Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze auf die wir zur Sicherung unseres Wohlstands angewiesen sind, nicht durch Engpässe im Verkehrssystem verringert werden. Eine unzureichende Verkehrsinfrastruktur hätte nicht nur für die deutsche Wirtschaft negative Auswirkungen, sondern für unsere Mobilität insgesamt. Denn im Stau stehen Güter und Menschen gemeinsam. Zunehmender Güterverkehr verschärft mithin die Konflikte mit dem Personenverkehr. Es geht daher nicht allein darum, das Funktionieren unseres Güterverkehrssystems als Grundlage von Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum sicherzustellen; die Herausforderung besteht zugleich darin, Güterverkehr so zu organisieren, dass er die Mobilität der Menschen – und damit konkret den Personenverkehr – möglichst wenig beeinträchtigt.

Klima- und Umweltschutz

Mehr Verkehr bedeutet, wenn er nicht effizienter organisiert wird, auch mehr Schadstoff- und CO2-Ausstoß, mehr Lärm, mehr Flächenverbrauch. Auch der Energieverbrauch des Verkehrs wirft Probleme auf, denn 71 % des Gesamtverkehrs in der Europäischen Union sind vom Mineralöl abhängig, der Straßenverkehr sogar zu 97 %. Verkehr ist überdies für rund 20 % des Gesamt-CO2-Ausstoßes in der EU verantwortlich. Ein Drittel der CO2-Emissionen des Straßenverkehrs entfällt dabei auf den Straßengüterverkehr. Mit weiter zurückgehenden CO2-Emissionen im Individualverkehr und der prognostizierten Zunahme des Straßengüterverkehrs wird sich dieses Verhältnis zunehmend zuungunsten des Straßengüterverkehrs verschlechtern. Dabei spielt auch eine Rolle, dass aufgrund der schon heute hohen Kosten- und Energieeffizienz großer Dieselmotoren die noch vorstellbaren technologischen Einsparpotenziale bei Lkw-Motoren – anders als bei Pkw – begrenzt und diese überdies nicht kurzfristig zu realisieren sind.

Daraus ergibt sich die zweite große Herausforderung, der sich dieser Masterplan stellt: Wir müssen Verkehr umwelt- und klimaverträglich machen und so ausgestalten, dass unsere Lebensqualität möglichst wenig beeinträchtigt wird. Das heißt: Verkehr muss energiesparender, effizienter, sauberer und nicht zuletzt auch leiser werden. Dies liegt auch im wohlverstandenen Eigeninteresse der Transportwirtschaft. Denn Lärm, Umweltbelastungen und Gesundheitsgefährdungen, die vom Güterverkehr ausgehen, gefährden auf Dauer die Akzeptanz des Güterverkehrs in der Bevölkerung.

Demografischer Wandel

Das Statistische Bundesamt prognostiziert für Deutschland bis 2050 einen Bevölkerungsrückgang von derzeit 82,5 Mio. auf ca. 74 Mio. Einwohner.3 Dieser Rückgang führt jedoch aufgrund der beschriebenen Auswirkungen verstärkter Spezialisierung und Arbeitsteilung mittelfristig nicht zu einer Abnahme des Güterverkehrs. Der demografische Wandel stellt die Verkehrspolitik allerdings insofern vor erhebliche Herausforderungen, als die Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Regionen höchst unterschiedlich verläuft und sich in der Folge das Wachstum der Güterverkehrsströme regional verschieden entwickeln wird. Während in einigen Regionen lediglich ein moderater Anstieg des Güterverkehrs zu erwarten ist, wird das Güterverkehrswachstum vor allem auf Hauptverkehrsachsen im Seehinterlandverkehr und zwischen den großen Ballungsräumen sehr viel deutlicher ausfallen. Diese regional differenzierte Entwicklung verlangt der Transportwirtschaft erhebliche Anpassungsleistungen ab; vor allem aber ist die Verkehrspolitik gefordert, dem unterschiedlichen Bedarf angepasste Prioritäten bei den Infrastrukturinvestitionen zu setzen. Investitionen in die absehbaren Engpassstellen des Verkehrssystems auf den Hauptachsen kommt daher eine zentrale Bedeutung zu. Diese kommt dabei auch der Bevölkerung in strukturschwachen Gebieten zu Gute, da auch Regionen mit sinkender Bevölkerungszahl und schwächerem Verkehrszuwachs darauf angewiesen sind, dass die Güterversorgung über die hoch belasteten Hauptzulieferachsen gesichert ist.

In einer weiteren Hinsicht beeinflusst der demografische Wandel das Transport- und Logistiksystem: Er bringt veränderte Logistikbedarfe und Mobilitätsbedürfnisse einer älter werdenden Bevölkerung mit sich und bietet hierdurch der Verkehrs- und Logistikwirtschaft die Chance, neue Logistikprodukte zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen. Dabei erfordert der steigende Anteil älterer Konsumentinnen und Konsumenten ein Umdenken nicht nur bei der Produktentwicklung und im Marketing, sondern auch bei den logistischen Dienstleistungen. Dies kann zu einer Erweiterung der logistischen Dienstleistungspalette führen, z. B. durch Einrichtung spezieller Lieferdienste und Fahrservices. Auch das steigende Durchschnittsalter der Bevölkerung führt also nicht zu weniger Verkehr. Vielmehr ist im gesamten Wirtschaftsverkehr mit einem Anstieg von Liefer-, Zustell-, Heim- und Pflegediensten zu rechnen – auch dies ein Grund, warum trotz abnehmender Bevölkerung die Verkehrsleistung weiter zunehmen wird.

Veränderte Arbeitsbedingungen und Qualifizierungsanforderungen

Die Unternehmen im Bereich Güterverkehr und Logistik profitieren zwar von dem mit zunehmender Globalisierung und räumlicher und funktionaler Arbeitsteilung einhergehenden steigenden Transportbedarf. Aber sie werden auch vor zunehmende Herausforderungen gestellt, indem sie mit einem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften bei gleichzeitig schrumpfendem Arbeitskräfteangebot konfrontiert sind. Bereits heute gestaltet sich in vielen Bereichen der Güterverkehrslogistik die Suche nach qualifiziertem Personal schwieriger. Alterung und Bevölkerungsrückgang werden die Schwierigkeiten bei der Deckung der Fachkräftenachfrage in den kommenden Jahrzehnten noch erhöhen. Wie die deutsche Wirtschaft insgesamt, so steht somit auch die Logistikbranche vor der Herausforderung, Wachstumseinbußen infolge des demografiebedingt geringeren Arbeitskräftepotenzials zu verhindern.

Gleichzeitig verändern fortschreitende Spezialisierung, technische Innovationen und zunehmender internationaler Wettbewerb radikal die Arbeitsbedingungen wie auch Qualifikationsanforderungen für die Beschäftigten im Güterverkehrs- und Logistikbe-reich, von denen im Jahr 2004 noch 44 % ohne Berufsausbildung waren.4 Steigende Qualifikationsanforderungen könnten den Fachkräftemangel bereits mittelfristig zum Problem für Logistikunternehmen werden lassen. Die Mitarbeiter werden zum Schlüsselfaktor für die erfolgreiche Entwicklung der Logistik- und Verkehrswirtschaft. Deren Wettbewerbsfähigkeit hängt künftig deshalb vor allem davon ab, ob es den Unternehmen gelingen wird, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinreichend zu qualifizieren und – angesichts steigender Arbeitsanforderungen – zu motivieren. Dabei kommt der betrieblichen Aus- und Weiterbildung eine wichtige Rolle zu.

Der zunehmende globale Wettbewerb verschärft zugleich die Konkurrenzsituation, in der das Transportgewerbe und seine Beschäftigten stehen. Logistik findet weltweit rund um die Uhr statt; die Unternehmen und deren Beschäftigte werden einem immer größer werdenden Liefer- und Zeitdruck ausgesetzt. Neben der Mitarbeiterqualifizierung ist daher die Schaffung guter Arbeitsbedingungen eine zentrale Aufgabe, der sich die Unternehmen zu stellen haben. Der Staat steht in der Pflicht, wirksame Sozialvorschriften festzulegen und ihre Einhaltung zu überwachen.

Steigende Sicherheitsanforderungen

Zunehmender Güterverkehr, die steigende Belastung der im Transportgewerbe Beschäftigten, aber auch das mit dem demografischen Wandel verbundene höhere Durchschnittsalter der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sowie die Bedrohung durch Naturkatastrophen rücken Fragen der Verkehrssicherheit ("Safety") verstärkt ins Blickfeld der Verkehrspolitik. Verkehrssicherheit bedeutet aber auch: Sicherheit vor terroristischen Gefahren, die die Lieferketten bedrohen ("Security").

Globalisierung und die damit einhergehende internationale Verflechtung haben Güterverkehr und Logistik verwundbarer gemacht. Die Bundesregierung sieht es als eine Gemeinschaftsaufgabe an, die Sicherheit der Lieferketten und damit auch der im Transportgewerbe beschäftigten Menschen zu erhöhen. Benötigt wird eine kontinuierliche internationale Verständigung darüber, wie die Gefahrenabwehr für den Verkehr und die Handelsströme gewährleistet werden kann. Denn dauerhafte Sicherheit im grenzüberschreitenden Güterverkehr ist nur durch internationale Kooperation zu finden. Die Herausforderung besteht darin, die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Erhöhung der Sicherheit so zu organisieren, dass die Funktionsfähigkeit und Schnelligkeit des Verkehrs- und Transportsystems möglichst wenig beeinträchtigt und der finanzielle und bürokratische Aufwand für Unternehmen wie staatliche Verwaltungen gering gehalten werden, gleichzeitig aber auch die Versorgung der Bevölkerung bestmöglich sichergestellt wird.


vorherige Seite | Inhaltsverzeichnis | nächste Seite


2 Intraplan Consult GmbH und BVU Beratergruppe Verkehr + Umwelt GmbH (2007): Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025, FE-Nr. 96.0857/2005, im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

3 Statistisches Bundesamt (2006): 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung.

4 Fraunhofer Institut Integrierte Schaltung - Arbeitgruppe für Technologien der Logistik-Dienstleistungswirtschaft ATL (2006) "Stand und Entwicklung der Logistik in Deutschland" im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.